Hörspiel

Jeder Mensch braucht ein Hobby!

Für mich, war Rundfunk Ende der 40er Jahre etwas Geheimnisvolles und als ich im Jahr 1953 meinen ersten Detektor-Empfänger mit einem Baukasten von Kosmos-Lehrspielzeug selbst baute, faszinierte mich Rundfunktechnik außerordentlich. Schnell wurde das Radio zum Fenster nach draußen: zu einem Kulturfenster, durch das wir nicht nur Musik, Nachrichten und Unterhaltung hören, sondern neue Lebensart aufnehmen konnten. Auf den „Tierfreund“ im Schulunterricht oder Kinderhörspiele an den Wochenenden, darauf freuten wir uns schon immer im voraus. Gegen Ende der 50er Jahre rückten bei mir Hörspielautoren wie Wolfgang Borchert (Draußen vor der Tür), Günther Eich (Träume), Max Frisch (Herr Biedermann und die Brandstifter), Fred von Hoerschelmann (Das Schiff Esperanza), Ingeborg Bachmann (Der gute Gott von Manhattan) und viele mehr in den Vordergrund, deren Hörspiele aus meiner Sicht Glanzstücke deutscher Literatur im neuen Medium Rundfunk waren. Und wer könnte die Paul Temple Reihe von Francis Durbridge je vergessen, der Straßenfeger der 50er. Während in den Anfangsjahren des Hörspiels die Auslösung von Betroffenheit, das Verschmelzen mit dem Publikum im Vordergrund stand, wandelte sich das Anliegen des Hörspiels zum thematischen Anliegen, zur Aussage bis hin zur Provokation. Doch einen Unterschied zu anderen Medien wird das Hörspiel immer behalten und ihm damit auch eine besondere Wirkungsmöglichkeit geben: Hörspiel hat nur die Elemente Wort, Musik und Geräusch zur Verfügung. Gehörtes wird aktiv fragend aufgenommen, mit individueller Interpretation versehen und als persönliches Erlebnis gespeichert. Das Hörspielgeschehen findet in der Innerlichkeit des Zuhörers statt. (Heinz Schwitzke) Deshalb kann man schon sagen: Wenn 1000 Zuschauer einen Film sehen, dann sehen sie alle den gleichen Film, wenn 1000 Zuhörer ein Hörspiel hören, dann hören sie 1000 Hörspiele.
Doch auch das Hörspiel war der Entwicklung unterworfen. Durch veränderte technische Voraussetzungen verlagerte sich das Hörspielgeschehen ab 1968 immer mehr aus der Innerlichkeit des Hörers zwischen die Lautsprecher im Hörraum. Das „neue Hörspiel“, das neueste technische Möglichkeiten (Stereophonie) und neueste künstlerische Darstellungsformen (elektronische Experimentalmusik, Sprache und ihre phonetischen Möglichkeiten, etc.) nutzen wollte, war geboren: das „totale Schallspiel“(Friedrich Knilli). In der Folge entwickelten sich Begriffe wie „Ars Acustica“, „Klangkunst“, „Audio Art“ oder auch „Sound Art“ als Bezeichnungen für das Hörspiel, das damit seine Herkunftsgattung – die Literatur – weitgehend aufgegeben hatte.
Das moderne Hörspiel als Kunstform liegt heute an der Grenze zwischen Musik, Unterhaltung und Literatur, doch auch die klassische Form des Hörspiels hat immer noch ihre Hörer.

Mein erstes Hörspiel heißt "Der Mann vorne links am Fenster" und handelt von einem Mann, dem auf seiner letzten Fahrt mit der S-Bahn ein schicksalhaftes Erlebnis widerfährt. Auf seine im gedanklichen Selbstgespräch gestellten Fragen antwortet ihm unerwarteterweise die Erde als Sachwalterin der Natur und gewährt ihm Einblick in die Rolle des Menschen im kosmischen Maßstab. Ihr seid allein: Niemand hört und sieht euch. Eure Handlungsmaßstäbe und Bewertungen von Gut und Böse habt ihr selbst erfunden. Niemand interessiert sich für euch - außer ihr selbst!

Ein weiteres Hörspiel heißt "Das Höroulette". Joschka, ein begabter junger Schriftsteller, den sie im Freundeskreis liebevoll Hem (Hemingway) nennen, ist ständig auf der Suche nach neuen Themen. Er hat ein Hörspiel geschrieben und damit an einem Wettbewerb teilgenommen. Doch kaum hat er sein Manuskript beim Sender abgegeben, beginnt ihn die Vorstellung zu quälen, von der Unterhaltungsindustrie ausgenutzt und entmündigt zu werden.

Eine Erzählung für den Funk hat den Titel "Piccolo" und handelt von einem Jungen, der auf einem Spaziergang mit seinem Großvater lernt, wie man eine Flöte aus Weidenholz anfertigen kann. Der Junge trägt die kleine Flöte immer bei sich in der Jackentasche - auch während eines Konzertbesuches in der Vorweihnachtszeit. Plötzlich ist die kleine Flöte aus seiner Tasche verschwunden und bringt das ganze Orchester in Rage, bis der Dirigent einen Vorschlag macht. Es ist die immer wiederkehrende Geschichte: Was uns fremd ist, stößt auf Ablehnung - bis Vernunft einkehrt und Beziehungen geknüpft werden!

Jeder Mensch braucht ein Hobby!